Die Erste Sinfonie von Bruckner ist uns in zwei (oder mehr, wenn man alle Varianten mitberücksichtigt) sehr verschiedenen Fassungen überliefert: Die Urfassung von 1866, genannt „Linzer“, und eine zweite, „Wiener“ genannte revidierte Version von 1891. Die erste Fassung wurde zwar – unter der Leitung des Komponisten – kurz nach der Fertigstellung der Partitur aufgeführt, trug aber nicht weiter dazu bei, Bruckner Weltruhm zu verschaffen. Die Erste wurde in dieser Form lange Zeit nicht aufgeführt. Nachdem sich Bruckners Ruf jedoch gefestigt hatte, begann man sich auch für die früheren Werke des Komponisten zu interessieren, unter anderem für seine Erste – aber er war der Meinung, dass die Partitur überarbeitet werden sollte. Es sei angemerkt, dass es sich hier um einen der seltenen Fälle handelt, in denen die Veränderungen ausschließlich vom Komponisten selbst stammen, wohingegen zahlreiche andere Sinfonien von sicher wohlmeinenden, aber nicht immer sehr inspirierten Außenstehenden abgeändert wurden. Das vorliegende Album, vom brillanten Yannick Nézet-Séguin gezeichnet, bietet uns die seltener eingespielte Fassung von 1891: von der „Linzer“-Version gibt es Aufnahmen mit Jochum, Neumann, Abbado, Haitink, Sawallisch und Blomstedt, während die vorliegende „Wiener“-Fassung „nur“ in den Aufnahmen von Abbado, Wand und Chailly vorliegt. Wir begrüßen daher diese schöne Ergänzung der Bruckner-Diskografie. © Marc Trautmann/Qobuz