Mit seiner Fünfte Sinfonie hat Bruckner mit den Konventionen gebrochen und die übliche Dauer mit mehr als einer Stunde weit überschritten: fast eine Stunde und zwanzig Minuten, wohingegen auch die stattlichsten unter den vorausgehenden Sinfonien unter einer Stunde blieben. Aber um derartige Brandungen an Kontrapunktik, sich überschneidenden Themen, Abschweifungen, Entwicklungen sowie Modulationen in eigenartigste und entfernteste harmonische Landschaften zu bewältigen, braucht es genügend Zeit. Das Werk wurde 1878 fertiggestellt und im Unterschied zu vielen anderen Sinfonien wurde diese nicht hundertmal überarbeitet: eine einzige endgültige Originalversion – und damit basta. Lag es daran, dass Bruckner nie Gelegenheit hatte, die Sinfonie in der Orchesterfassung zu hören und sich daher nicht durch wohlmeinende aber inkompetente Ratgeber beeinflussen ließ? Er konnte sie ein einziges Mal in der Fassung für zwei Klaviere im Konzert hören; die Orchesterversion wurde 1894 erstmals aufgeführt. Der Komponist war jedoch damals krank und konnte nicht dabei sein. Umso besser, denn er hätte betimmt einen Herzinfarkt bekommen, angesichts der unerträglichen und ziemlich unverschämten Änderungen an der Orchestrierung, Schnitten und Hinzufügungen, die der Dirigent Franz Schalk an dem Werk vorgenommen hatte – vermutlich in bester Absicht: So kann man sich täuschen! Hier hören Sie jedenfalls die Originalfassung, mit Yannick Nézet-Séguin an der Spitze des Orchestre Métropolitain de Montréal – eines der beiden Hausorchester der Oper von Montreal – eines Ensembles, das er auf Weltniveau gebracht hat. © Marc Trautmann/Qobuz