Rap ist ein textlastiges Genre. Wenn die Lyrics nichts taugen, kannst du alles vergessen. Von Alyona Alyona werden wir da bestimmt keinen Widerspruch hören. Auch sie legt größten Wert auf Inhalte, möchte denen, die sonst kein Gehör finden, als Sprachrohr dienen, Missstände anprangern, Dinge zum Besseren bewegen. "Meine Texte sind wie dicke Bücher", erklärt sie. Es ist wirklich verdammt schade, dass ich des Ukrainischen nicht mächtig bin.
"Galas" zeigt: Lass' es schade sein. Die schiere Qualität dieser Platte wird trotzdem elegant über die Sprachbarriere hinwegflanken und mit dem Arsch voran in deinem Gesicht landen. Falls jemand einen Beweis dafür sucht, dass Musik eine universelle, völkerverbindende Dimension innewohnt: Hier hätten wir einen.
Gleich der Opener "Назавжди ваша" stellt unmissverständlich klar: Der Beat kann noch so melodisch, soulig und groovy ausfallen. Alyona Alyonas knallharter Vortrag lässt sich von keinem Instrumental der Welt die Show stehlen. Immer und überall liegt der Fokus auf dieser Stimme. Die steht jederzeit mitten im gleißenden Scheinwerferlicht, egal, ob sie nun rappt oder singt.
Die Vielseitigkeit der Ukrainerin macht "Galas" ohnehin schon zu einer kurzweiligen Angelegenheit. Obendrein hat sie sich auf ihren - vor der Pandemie - ausgiebigen Touren in aller Herren Länder einen ganzen Strauß Featuregäste zusammengepflückt, die eine*r nach dem/der anderen amtlich abliefern.
Aus Kanada, Israel, Deutschland, Polen, Südamerika oder den USA stammen die Beteiligten. Natürlich geht auch eine ganze Reihe ukrainischer Kollegen mit an den Start, allein in "Стержень" schon ein halbes Dutzend. Bis die alle ihren Vers abgeliefert haben, dauert es auch mal über fünf Minuten. Danach steht aber auch fest, dass Alyona Alyona wirklich keinen von denen bloß aus Verbundenheit und Freundlichkeit im Gepäck hat. Die zentrale Botschaft kommt ohne spezielle Sprachkenntnis durch: "Stay original."
An anderen Stellen müssen wir uns, was die Inhalte betrifft, auf mitgelieferte Erklärungen verlassen. "Pearl" etwa handle davon, den Schatz in seinem eigenen Inneren zu finden. Andere Tracks machen noch größere Themenfässer auf. "Тихо діти сплять" etwa dreht sich um Umweltzerstörung, Klimawandel und die Sorge um die Zukunft des Planeten. Passend zur Tragweite ihrer Themen bedient sich Alyona Alyona hier eines getrageneren, ungeheuer melodiösen Stils.
"Читаю реп" fasst zusammen, was den Menschen, insbesondere Künstler*innen, in der Ukraine gegenwärtig passiert. Sehr rosig kann die Lage vor Ort nicht sein, sonst wäre kaum ein derart düsterer, atem- wie kompromissloser Raptrack daraus entstanden.
In "Shalom" lässt der Titel eine Frieden stiftende Intention erahnen. Wie Olexeshs Part, der unter anderem von Knarren im Kühlschrank und falschen Fingernägeln erzählt, dazu passt, bleibt mir allerdings ziemlich verborgen.
Was solls, Alyona Alyona serviert ja durchaus auch einmal leichte Kost: So erzählt, hab' ich mir sagen lassen, "Pappi Pappi" davon, wie die Töchter sich aufbrezeln und feiern gehen, sobald der Herr Papa sich schlafen gelegt hat. Quäkende Bläser und ein schwer angeschlagenes Klavier sorgen für den schlingernden Sound, der dem Track abwechselnd Mariachi-, Drum'n'Bass- und Grime-Vibes verpasst. Supergeil.
"Galas", heißt es, bedeute so viel wie "Hype". Dass es da aber doch feine Unterschiede gibt, erklärte Alyona Alyona im Interview. Das lest ihr demnächst in diesem Theater. Einstweilen gibts hier den Titeltrack, für den der kanadische Rapper Dax vorbeischaut. Auch wenn der diesen Yannik™ nicht so wahnsinnig überzeugt hat, macht er hier doch eine überaus solide Figur.
Stimmung und Atmosphäre wechseln mit jedem Track und mit den Gästen. "Bro" wirkt ein bisschen albern, die Kollaboration mit Monatik in "Глибина" stellenweise arg cheesy. Ein Eindruck jedoch zieht sich wie ein dicker roter Faden durch dieses Album: Wir haben es hier mit einer irre präsenten, kompetenten und zudem elend sympathischen Rapperin zu tun. Wenn die ganz zum Ende den Kindern, an die die ehemalige Erzieherin ihr Herz verloren hat, noch ein Schlaflied singt, wisst ihr Bescheid: Nicht nur Wu-Tang is for the children.
© Laut