Dieser Kurzfilm unter der Regie von Luca Guadagnino (Oscar im Jahre 2018 für Call Me By Your Name) erzählt die Konfrontation zwischen Francesca (Julianne Moore) und ihrer Mutter, der berühmten Malerin Sophia Moretti (Marthe Keller). Im Haus in Italien, in das sich Letztere zurückgezogen hat, wird Francesca von den Geistern ihrer Jugend heimgesucht, die in ihr einen Wirbelwind voller Schmerzen und Erinnerungen auslösen, der letztendlich befreiend wirkt. Ist von Geistern die Rede, dann auch von Immaterialität. Dank ätherischer Klangfarben (Streicher, Klavier) und absteigender Quintfallsequenzen gelingt es Ryuichi Sakamoto (Furyo) mit seiner halb angsterregenden, halb melancholischen Musik die übernatürliche Seite des Films herauszustreichen und zugleich Bernard Herrmann mit seinen Filmen Psycho und Vertigo Ehre zu erweisen. Diese brillante Komposition des Japaners abstrahiert jedoch nicht nur die Geister aus der Vergangenheit. Es handelt sich gleichzeitig auch um materielle Musik im striktesten Sinne des Wortes, da sie wortwörtlich mit Gewebe spielt. Produziert wurde The Staggering Girl nämlich in Zusammenarbeit mit Pierpaolo Piccioli, dem künstlerischen Leiter von Valentino, und daher bot sich Sakamoto die Gelegenheit, Stoffmuster des Modeschöpfers zu benutzen, sie aneinander zu reiben oder mit der Hand darüber zu streichen und das alles dann gleichzeitig mit Mikrofonen mit starker Leistungskapazität aufzunehmen. Vom Stil her sehr unterschiedliche Musikpartituren wie jene für The Staggering Girl oder Woman in Yellow spiegeln Ryuichi Sakamotos experimentelle Herangehensweise wider und machen aus ihm einen der erfindungsreichsten Komponisten seiner Generation. Ganz unabhängig von diesen spürbar übernatürlichen Betrachtungsweisen geht der Soundtrack mit einem strahlenden Dance zu Ende, bei dem die glamourösen Streicher des Japaners von einem ausgelassenen, minimalistischen Klavier begleitet werden. Ein Abschluss, der als Rückkehr in die Gegenwart und ins Leben interpretiert werden kann. © Nicolas Magenham/Qobuz