Zwei Jahre nach dem grandiosen "The Seer" kredenzen die Swans ein weiteres Mammutwerk. "To Be Kind" kommt mit fast 120 Minuten Spielzeit auf Doppel-CD oder im schicken Trippel-LP Format daher. Michael Giras Sinn für Qualität und Kreativität bleibt auch weiterhin gewohnt ungebrochen. Musik zwischen Himmel und Hölle, aber in beiden Fällen für die Ewigkeit gemacht. Edle Gaststars wie St. Vincent runden das Bild perfekt ab.
In Komplexität wie Eigenwilligkeit steht diese 13. Platte der Schwäne dem Vorgänger in nichts nach. Natürlich gibt es keinen Neuaufguss, eher eine Art Fortsetzung der musikalischen Reise. Mal die totale Baustelle, dann wieder archaischer Blues. Mittendrin kurze Momente der Ruhe, als ob die Noten mitunter im Angesicht der eigenen Wucht innehalten müssen. Gelegentlich ein wenig anstrengend, dabei aber immer höchst unterhaltend.
Zumidest für diese Scheibe begibt Gira sich wieder in die Hände von Mute Records, jenes Labels, unter dessen Fittichen bereits der ewige Swans Maßstab "Children Of God" (1987) entstand. Gute Entscheidung! Der alte Spirit reanimiert sich wie von selbst. Heraus kommen Lieder, die ebenso gern die Abrissbirne auspacken, wie sie sich dem gedehnten Flow eines Lavastroms hingeben.
Insgesamt betrachtet ist "To Be Kind" runder und weniger zerfahren als "The Seer". Immer noch randvoll mit sprudelnden Ideen und schillernden Details. Jedoch deutlich songorientierter und pointierter als 2012. Mantrische und berstende Elemente wechseln sich stimmiger und weniger dekonstruierend miteinander ab. Die räudige Droge Swans geht so schnell ins Blut wie lang nicht mehr. Ist diese Schallplatte mithin der ultimative Meilenstein von Gira? Ja! Dieselbe zornerfüllte Innovation wie 1987 trifft auf einen versierteren, stilistisch hochgebildeten Komponisten und perfekten Instrumentalisten.
So eilt der Hörer mit diesen zehn Liedern von Gipfel zu Gipfel. Talsohlen gibt es in diesem Feuerwerk der Superlative nicht. Schon der Opener "Screen Shot" zieht das Publikum mit repetitiver Aggression und einem hypnotisch kreiselnden Pianothema unerbittlich in seinen Bann. "No dream, no sleep, no suffering!" Danach die kontrastierende Zeitlupe mit dem psychedelischen Blues "Just A Little Boy (For Chester Burnett)". Ein Wahnsinnsstück und Hommage an einen der besten Bluesmen aller Zeiten, Howlin' Wolf.
Gira strippt den Mississippi-Delta Sound hier bis aufs Knochengerüst herunter. Dabei bleibt er über weite Strecken ungewöhnlich relaxt, was die wenigen Eruptionen noch effektiver macht. Besonderer Clou: Statt der Instrumente lässt er seine Vocals überschnappen und in stimmliche Richtung des quietschenden David Lynch-Albums "The Big Dream" kippen. Das macht er äußerst packend.
Die für Swans Verhältnisse ausufernd riesige Mannschaft, samt spannender Special Guests, gibt einen zusätzlichen, entscheidenden Pluspunkt. Allen voran die gewohnt exquisite St. Vincent. Vor nicht allzu langer Zeit war sie auf "Love This Giant" bereits eine hervorragende Kollabo-Partnerin für David Byrne. Hier steuert sie zu vier Songs ihre charismatische Stimme bei und schlüpft damit ein wenig in jene Rolle einer Gira-Muse, die sonst der hier abwesenden Jarboe vorbehalten blieb. Stimmungsvoller Höhepunkt der Zusammenarbeit: Das ebenso schamanisch wie resignativ in sich ruhende Auge des Sturms "Kirsten Supine"! Mit Glockenhall und sanft sägenden Gitarren öffnet der Track das Bewusstsein komplett und bietet nebenbei eine Alternative für Fans, die seit fast 30 Jahren auf die ruhige Intensität von "You're Not Real, Girl" ("Children Of God") schwören.
Wenn die zwei Stunden dann vorbei sind, ist man dermaßen zu einem Teil dieser panzerbrechenden Musik geworden. Es braucht durchaus einige Minuten, bis man in der Realität der Alltagswelt wieder Fuß fasst. Wer diesem Meisterwerk ein paar Durchläufe gönnt, wird sicherlch einen akustischen Freund fürs Leben finden, oder zumindest für viele Jahre.
© Laut