Die ganze Welt ist überrascht: der Dalai Lama bringt sein Debütalbum auf den Markt. Es wäre natürlich unangebracht, davon ein musikalisches Wunder zu erwarten, vielmehr sollte man diese Veröffentlichung als solche verstehen, was es ist bzw. sein wollte. Es ist ein Mix aus Ambient, fernöstlichen Harmonien, Klängen von Blasinstrumenten und Zymbeln und sogar Chorgesang, den ganz allein seine Schülerin, die Musikerin Junelle Kunin mit Unterstützung ihres Ehemanns Abraham komponiert hat. Auf Inner World sollen von buddhistischem Gesang begleitete Mantras ohne jeden Anspruch jeden Einzelnen in der weiten Welt dazu auffordern, sich anhand von elf präsentierten Konzepten (The Buddha, Courage, Protection, Humanity, Wisdom…) auf den Weg in „seine eigene innere Welt“ zu machen. Nachdem ihr erstes Angebot abgeschlagen worden war, richtete Kunin ein Schreiben an die Assistenten Seiner Heiligkeit, das letztendlich erwidert wurde. Immerhin dauerte es fünf Jahre, bis das Album, das zwischen Aufnahmen in Dharamsala, wo der Dalai-Lama seit 60 Jahren im Exil lebt, und den Studios im neuseeländischen Auckland hin und her wanderte, fertiggestellt war. Der 1989 ausgezeichnete Friedensnobelpreisträger war zuerst etwas misstrauisch, soll jedoch inzwischen Gefallen daran gefunden haben. Kunin: „Er war ganz aufgeregt! Er fing sogar an, mir zu erklären, wie wichtig Musik ist. Seine Augen funkelten, als er sich händereibend nach vorne beugte und mir erzählte, wie Musik den Leuten auf eine ihnen zugängliche Art helfen könnte, und wie sie alle Unterschiede auflösen und uns zu unserer wahren Natur und Herzensgüte zurückführen kann“. Das von der höchsten tibetanischen Behörde am Tag des 85. Geburtstages ihres spirituellen Lehrers der Öffentlichkeit vorgestellte Werk könnte auch als Schwanengesang interpretiert werden – Peking verweigert ihm jedweden Nachfolger – und rückt eine tibetanische Angelegenheit erneut ins Licht, die in den letzten Jahren im Schatten von Chinas Wachstum in Vergessenheit geraten war. © Charlotte Saintoin/Qobuz