Ein großartiges Ereignis! Herbert Blomstedt, großer Interpret von Anton Bruckners Sinfonien (Sinfonien Nr. 4 und 7 in Dresden in den 1970er Jahren, subtile Sinfonie Nr. 6 in San Francisco bei Decca, in den letzten Jahren Gesamtaufnahme mit dem Gewandhaus bei Querstand), kehrt mit der 9ten von Mahler an die Spitze der Bamberger Symphoniker zurück. Blomstedt scheint sich vor allem für das zu interessieren, was in Mahlers Klanguniversum neu ist. Er nimmt alle Instrumentalverbindungen genau unter die Lupe, betont das "Hässliche" oder alles, was stört, verstärkt jedenfalls die schroffe Schreibweise oder den bruchstückhaften Austausch zwischen den Streicher-, Blechbläser- und Holzbläserpulten (Im Tempo eines gemächlichen Ländlers); sogar die Lyrik wird seziert (zentraler Abschnitt im Rondo-Burleske). Wo sind wir? Wohin führt man uns? In eine völlig neue Welt, die sich hier unaufhaltbar entfaltet, zumal die Tempi während der gesamten Sinfonie sehr moderat bleiben und uns erlauben, jeden Moment intensiv zu erleben: Das Rondo-Burleske endet in einer ersten Naturkatastrophe. Die Sinfonie könnte hier enden. Dann kommt ein riesiges, 25-minütiges Nachspiel, das Adagio, bei dem man sich fragt, ob es jemals so morbid und traurig war. Die Farben verblassen, die Klangfarben verwischen sich unaufhaltsam und das polyphone Flechtwerk wird immer spärlicher. Auch die Emotionen verschwinden. Mit dieser 9ten, die im Juni 2018 im Joseph-Keilberth-Saal der Bamberger Konzerthalle aufgenommen wurde, kehrt Herbert Blomstedt zu dem zurück, was letztlich Mahlers Ureigenstes ist: die Abstraktion. Liebe – mystisch, kosmisch oder menschlich –, ja sogar Hoffnung, existieren nicht. Bruckners 19. Jahrhundert ist verschwunden. Faszinierend. © Pierre-Yves Lascar/Qobuz