Das Mysterium um das Phantom des dritten und vierten Satzes der Unvollendeten von Schubert geht weiter. Vielleicht war diese aber in Wahrheit gar nicht so unvollendet. Wir wissen seit langem von der Existenz der dreißig ersten, vollständig orchestrierten Takte des Scherzos sowie von der eines Particells" vom Rest des Scherzos. Vom Trio bleibt nur eine einfache, nicht einmal harmonisierte Melodie. Und vom letzten Satz findet man rein gar nichts…Einige vermuteten, dass Schubert, zu dem Zeitpunkt krank, sein Werk abgebrochen habe, weil er fand, dass die letzten beiden Sätze nicht an das Niveau der ersten beiden herankam. Hierbei wird jedoch vergessen, dass er bis zu seinem Tod noch erstaunliche Meisterwerke schrieb, wie die letzten Quartette und Sonaten, die beweisen, dass seine Kreativität noch bestens funktionierte. Ein weiteres Detail, das Zweifel an dieser Theorie zulässt: Wenn er die letzten beiden Sätze für schlecht hielt, warum hätte er dann anfangen sollen, das Scherzo sauber aufzuschreiben, wenn nicht, um seine Arbeit zu Ende zu bringen? Und warum hört die orchestrierte Partie plötzlich unten auf der Seite auf, eine Seite, die ein „Heft“ umschließt (das „Heft“ ist ein Packet aus Blättern, die man herausnehmen kann, ohne etwas zu zerreißen und kaputt zu machen)? Das beiliegende Heftchen des Albums, geschrieben vom Dirigenten des Kammerorchesters von Basel Mario Venzago, schlägt folgende Spekulation vor: Möglicherweise hat Schubert Huttenbrenner gebeten, ihm in Eile den letzten Satz der Sinfonie zu schicken, um damit die Bühnenmusik für Rosamunde aufzustocken, die er in sehr kurzer Zeit schreiben sollte. Huttenbrenner hätte dann die Hefte, die die vier Sätze und dabei auch einen Teil des Scherzo enthielten, voneinander losgelöst. Eine schöne Vorstellung, die dabei aber doch nur eine Theorie bleibt. Venzago hat in Rosamunde alle harmonischen und melodischen Elemente übernommen, sodass sein vierter Satz sich sehr überzeugend an die vorangehenden Sätze anschließt. Fraglich bleibt, ob die zwei letzten Sätze den ersten beiden das Wasser reichen können. Venzago interpretiert diese, da es sich bei der Sinfonie jetzt nicht mehr nur um eine Aneinanderreihung von zwei langsamen Sätzen handelt, sondern eine kontinuierliche Sinfonie in vier Sätzen, mit anderen Tempi und Konzeptionen als gewöhnlich. So klingt der erste Satz wesentlich langsamer, als man ihn normalerweise hört. © SM/Qobuz