Michel Lambert (1610-1696), der vor allem als Komponist von fast 300 Arien bekannt wurde, hat zwei vollständige Trauermusik-Zyklen hinterlassen, die beide in eine weder datierte noch signierte handschriftliche Sammlung übertragen wurden. Der erste Zyklus – auf dem vorliegenden Album zum ersten Mal in seiner Gesamtheit aufgenommen – war in einer kursiven Handschrift notiert, die zwar die Verzierungen der Gesangsstimme in allen rhythmischen Feinheiten akribisch genau wiedergab, jedoch bezüglich der Begleitakkorde des Continuo viele Fragen offen ließ. Von Seiten der Musiker ist daher eine gründliche Rekonstruktion und eine heikle minutiöse Feinabstimmung, die sich auf intime Kenntnisse des Geistes dieser Musik an der Grenze zwischen Geistlichem und Weltlichem stützt, erforderlich. Die Leçons de Ténèbres von Lambert wurden unter der Herrschaft Ludwigs XIV. bei öffentlichen Andachten am Hof gespielt. Nach Zeitzeugen wurden sie während der Karmetten von drei Sängerinnen aufgeführt. Dagegen bieten uns Marc Mauillon und seine drei Instrumentalisten – Bassgambe, Theorbe und Orgelpositiv – hier eine Fassung für Männerstimme. Sie tragen damit der Tatsache Rechnung, dass die Leçons vermutlich von Lambert selbst vorgetragen wurden – die Partitur ist zwar keine handschriftliche Ausgabe, erinnert dennoch eher an ein Notizblatt und scheint für Aufführungen nicht besonders gut geeignet – und dass er auch seine eigenen Airs de Cour selbst gesungen hat. Außerdem spielte er auch die Begleitung – vermutlich mit der Theorbe – zusammen mit dem Geiger und Theorbisten Nicolas Hotman. Die Interpreten der vorliegenden CD einige Werke von Hotman ausgewählt und als Präludien, Nachspiele, Meditationen oder Atempausen zwischen die Leçons gestellt, die ursprünglich in der vorösterlichen Liturgie ihren Platz hatten. Wenn das hier gebotene Hörerlebnis auch anders ist als ursprünglich für diese Stücke vorgesehen, so lohnt es sich wegen des meditativen Zustandes, in den der Hörer versetzt wird, auf jeden Fall. © Marc Trautmann/Qobuz