Wenn das Trio Lirico drei Komponisten aufs Programm setzt, die bis 1989 östlich des Eisernen Vorhangs lebten und wirkten, dann ist das zumindest für die Geigerin Franziska Pietsch und die Bratschistin Sophia Reuter eine Musik, die sie ‒ um Goethe zu paraphrasieren ‒ „mit der Seele suchen". „Wir waren schon als Kinder in Ostberlin eng befreundet", sagt Franziska Pietsch über ihre Kollegin an der Bratsche. „Also haben wir zusammen eine persönliche Geschichte, eine ähnliche Spielweise und eine ähnliche Art, uns über diese Musik ohne Worte zu verständigen. Wir fühlen sie einfach".
Diese persönliche Art der Wahrnehmung, in die sich der Bremer Cellist Johannes Krebs empathisch einfügt, ist nicht unwichtig für eine Musik, die sich nicht nur aus den Noten, sondern in hohem Maße aus dem kulturellen und politischen Umfeld erschließt, in das sie hineinkomponiert wurde. Sicherlich hatte Krzysztof Penderecki (geb. 1933) nach der politischen Liberalisierung des polnischen Musikbetriebs seit 1956 die Möglichkeit, an avantgardistische Entwicklungen im Westen anzuknüpfen und seine ganz eigene, unverwechselbare Moderne zu schaffen. Sein Generationsgenosse Alfred Schnittke (1934-1998) und der ältere Mieczysław Weinberg (1919-1996) hingegen mussten ihre Musik bis zum Ende der Sowjetunion gegen massive Schikanen der Behörden durchsetzen, die im Fall von Weinberg bis zur Verhaftung aus antisemitischen Motiven reichte.
Der in Warschau geborene Weinberg, der während des Zweiten Weltkriegs in die Sowjetunion geflohen ist, stand in engem Austausch mit seinem Freund und Mentor Dmitri Schostakowitsch. Dennoch ist Weinbergs Musik ganz eigenständig und balanciert im Streichtrio von 1950 auf dem Grat zwischen populären Weisen und Anklängen an jiddische Musik. Alfred Schnittke, der mit seinen (wolga)deutschen und jüdischen Erbteilen in der Sowjetunion einen schweren Stand hatte, komponierte sein Trio 1985 zum Geburtstag des großen Kollegen Alban Berg ‒ und erlitt kurz nach der Komposition einen lebensgefährlichen Schlaganfall, der dem Werk im Nachhinein eine tragische Note verlieh. Das jüngste Werk dieser CD schließlich stammt von Krzysztof Penderecki, dem bedeutendsten polnischen Gegenwartskomponisten: 1991 hat er sein Streichtrio als große Improvisation für drei Spieler mit einer strengen und wilden Fuge komponiert. © Audite